Epigenetik:
Krebs – warum die Gene nicht unser Schicksal sind

Nicht die Genetik, sondern die Epigenetik ist maßgeblich an der Entstehung von chronisch-degenerativen Erkrankungen – allen voran den Krebserkrankungen – mitbeteiligt. So ist der Lebensstil, speziell der nutritive Einfluss von ganz wesentlicher Bedeutung für das An- und Abschalten von Genen. Bioaktive Pflanzeninhaltsstoffe, die in Wechselwirkung mit der DNA treten können und zudem antiinflammatorisch und antioxidativ wirken, sind daher von besonderem Interesse. Für den Praxisalltag gilt es hinsichtlich der Dosierung und Kombination in der Anwendung einiges zu beachten.

Epigenetik – die Nahrung „spricht“ mit den Genen
Unser Erbgut – die DNA – unterliegt, wie wir inzwischen aus der Forschung wissen, in erheblichem Umfang dem Einfluss von Lebensstilfaktoren. So können z. B. (negative und positive) Erfahrungen aus der Kindheit, Traumata und psychische Belastungen Veränderungen an diesem „Code des Lebens“ bewirken. Auch Stress und Gifte sind hier von Bedeutung. Eine ganz erhebliche Rolle spielt allerdings die Ernährung. Man geht davon aus, dass mindestens 40 % aller Krebserkrankungen ernährungsbedingt sind. Hierbei sind epigenetisch bedingte Veränderungen, die zum Beispiel zu einem Anfügen von funktionellen Gruppen (z. B. Methylgruppen) führen, relevant. Durch das Anhängen solcher Strukturen an die DNA können wichtige Gensequenzen nicht mehr abgelesen werden. In der Folge werden z. B. die entsprechenden Proteine nicht hergestellt. Davon können u. a. Immunbotenstoffe oder aber auch wichtige Signalstoffe ebenso wie z. B. Tumorsuppressorgene betroffen sein, die im Rahmen der Tumorüberwachung einen erheblichen Stellenwert besitzen. Aber die zugeführte Nahrung kann auch dazu beitragen, die an der DNA platzierten funktionellen Gruppen zu entfernen und dadurch die Ablesbarkeit des zuvor verschlossenen Gens zu ermöglichen. Werden dadurch die Informationen von Onkogenen frei, dann steigt das Risiko, an Krebs zu erkranken. Insofern findet diese Fehlmethylierung gerade bei Krebserkrankungen in der Forschung zunehmend eine Beachtung, wobei man weitaus häufiger von einer Hypermethylierung bei Krebserkrankungen ausgeht. Die Enzyme, die für die Anheftung der Methylgruppen an die DNA zuständig sind, heißen DNA-Methyltransferasen (DNMT). Insofern sind Naturstoffe von Interesse, die zu einer Hemmung der DNMT und einer Normalisierung dieser Strukturveränderungen beitragen können. Ein weiterer „Schalter“, der am Erbgut im Rahmen der Epigenetik eine Rolle spielt, ist die Modifizierung der Histone. Diese Eiweiße sind ebenfalls ein wichtiger Teil unseres Erbgutes. Und auch dort können chemische Gruppen andocken wie z. B. Acetylgruppen. In diesem Fall sorgen diese dafür, dass Gene aktiv bleiben und nicht abgeschaltet werden. Bei Krebszellen sind die Acetylgruppen an den Histonen häufig dezimiert. Die Enzyme, welche die Gruppen von der DNA entfernen, heißen Histondeacetylasen (HDAC). In der Forschung konzentriert man sich auf Naturstoffe, welche zur Erhaltung der Ablesbarkeit beitragen und die HDAC hemmen. In diesem Zusammenhang kommt den sekundären Pflanzeninhaltsstoffen aus bestimmten Früchten (Superfoods), Gemüsesorten und Gewürzpflanzen eine wesentliche Bedeutung zu. Hierbei sind vor allem bioaktive Pflanzeninhaltsstoffe wie z. B. Polyphenole interessant, die gleichzeitig antioxidativ und antiinflammatorisch wirken. Aber auch Glucosinolate und Diallylsulfide können hier eine krebspräventive Wirkung entfalten (Tabelle).

Obst ist nicht gleich Obst und Gemüse ist auch nicht gleich Gemüse

„Du bisst was Du isst“ – diese Aussage des deutschen Philosophen Auerbach (1804 – 1872) hat durch die neuen Erkenntnisse der ernährungsmedizinischen Forschung nun erneut Bestätigung erfahren. In der Tat gibt es Hinweise auf direkte Einflüsse von Lebensmitteln bzw. Lebensmittelinhaltsstoffen, die für die DNA- und Histonmodifikationen im Sinne einer krebspräventiven Wirkung von Relevanz sein können. Hier sind vor allem bestimmte Polyphenolstrukturen angesprochen, die in sehr hoher Konzentration in bestimmten Beerenfrüchten (z. B. Acai- Gojibeeren) oder auch in Gewürzpflanzen (Gingerole aus Ingwer, Kurkumine aus der Gelbwurz) vorkommen. Die Gojibeere hat beispielsweise 4000 Prozent mehr Polyphenole als die gleiche Menge an Orangen. Resveratrol kann sowohl aus dem Rebstock als auch aus dem Chinesischen Knöterich gewonnen werden. Es unterliegt mit Kurkumin zusammen einem starken Wirksynergismus und sollte idealerweise mit diesem kombiniert verabfolgt werden. Resveratrol, aber auch Kurkumin oder OPC werden im Rahmen ihrer potentiell antikanzerogenen Eigenschaften derzeit intensiv untersucht. Im Zuge von Krebserkrankungen spielen Entzündungsvorgänge eine erhebliche Rolle. Diese werden u. a. durch Transkriptionsfaktoren wie NF-kappa B oder STAT-3 getriggert. Die Aktivität dieser Proteine ist von Einfluss auf die Apoptose und die Angiogenese von Tumorzellen. Weiterhin ist Resveratrol von Einfluss auf die Aktivität der Sirtuine, die ihrerseits den Zellzyklus und die Reparaturfähigkeit der DNA positiv beeinflussen. Die
antikanzerogenen Mechanismen der Polyphenole, insbesondere die Hemmung der tumorinduzierten Neovaskularisation, wird inzwischen auch in Humanstudien weiter untersucht, wobei grundlegend auch die Pharmakologie und die Dosisfindung des Resveratrols von zentraler Bedeutung ist. Resveratrol wird im menschlichen Organismus rasch metabolisiert und in Sulfat- und Glucuronidkonjugate überführt. Untersucht wurden in diesem Zusammenhang Dosierungen von Resveratrol zwischen 0,5 mg/Tag und 5,0 mg/Tag, die als probat bei mehrwöchiger bzw. längerfristiger Anwendung gelten. Höher dosierte Zufuhren von 25 mg (oder mehr) werden in aktuellen Fachpublikationen seitens der Forschungsgruppen allenfalls als Einmalgabe, keinesfalls aber als längerfristige Dosierung empfohlen. Unter hochdosierten Einzelgaben sind u. a. mögliche negative Effekte (z. B. prooxidative Wirkung) nicht auszuschließen. Daher ist auch die Anwendung von Resveratrol im natürlichen Verband mit anderen antioxidantienreichen Pflanzenextrakten (z. B. Beeren-, Gemüse-, Gewürzpflanzenextrakte) zu bevorzugen. Zu beachten ist auch, dass Resveratrol, welches aus dem chinesischen Knöterich gewonnen wird, leberbelastende Begleitsubstanzen enthalten kann und der aus dem Rebstock gewonnene Wirkstoff zwar teurer ist, aber als hochwertiger und besser verträglich gilt. Hochdosierte Nahrungsergänzungsmittel mit reinem Resveratrol (Monosubstanz) beinhalten meistens das preiswertere Knöterich-Resveratrol. Auch pflanzliche Enzyme wie z. B. Bromelain oder Papain sind von Interesse, da sie im Rahmen subklinischer Inflammationen, die bei Krebserkrankungen auch immer mitbeteiligt sind, die Selbstheilungskräfte des Organismus unterstützen können. Empfehlenswert ist es daher, einen Aktivkomplex, bestehend aus den genannten Beerenfruchtextrakten, Resveratrol aus dem Rebstock, Kurkumin, Gemüseextrakten und pflanzlichen Enzymen (z. B. „plantazym“, Apotheke), anzuwenden.

Tabelle: Nutrigenomics – Lebensmittel mit potentieller Schutzwirkung auf die Gene
(Beispiele)

POLYPHENOLE
Gingerole (Ingwer), Kurkumin (Gelbwurz), Resveratrol (Rebstock)  Beerenfrüchte (vor allem Acai- und Gojibeeren), Flavonoide (z. B. Papaya)

GLUCOSINOLATE
Kohl, Brokkoli, Kohlrabi, Kresse

DIALLYLSULFIDE
Knoblauch, Zwiebeln, Schnittlauch

Fazit
Einer Kost, die reich an bioaktiven Pflanzeninhaltsstoffen ist, wird ein hohes krebspräventives und antientzündliches Potential eingeräumt. Die Vielfalt besitzt hier vor der verzehrten Menge Priorität. Die Beeren- und andere Früchte, die hier vorrangig im Sinnes des „Superfoods“ (allen voran Goji- und Acaibeeren) zu nennen wären, sind kaum verfügbar, so dass die Zufuhr über geeignete Nahrungsergänzungsmittel durchaus in Erwägung zu ziehen ist. Diese sollten allerdings, nach Möglichkeit, auch polyphenolhaltige Gemüsesorten(extrakte) sowie Gewürzpolyphenole (z. B. Kurkumin, Gingerole aus Ingwer) enthalten, denn hierbei ist nicht nur von einer synergistischen Wirkung der bioaktiven Pflanzeninhaltsstoffe auszugehen, sondern auch von einer optimalen antioxidativen Wirkung unter weitgehender Vermeidung prooxidativer Effekte.

Prof. Dr. Michaela Döll
Gartenweg 20
67157 Wachenheim
www.prof.drmdoell.de

Weitere Informationen und Produktempfehlungen erhalten Sie bei der Autorin oder auch im Buch der Autorin: „Warum Papaya kühlt und Zucker heiß macht“, Herbig Verlag, ISBN 978-3-7766-2728-2, 14,99 Euro

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